Vertrauen und Reziprozität: Voraussetzung für ein Bildungs-Ökosystem

Die Wirtschaftswissenschaftler Hwang und Horowitt haben sich 2012 in ihrem Buch „Rainforest – the secret to building the next Silicon Valley“ mit Innovations-Ökosystemen befasst.
Sie analysieren, warum bspw. Regionen wie das Silicon Valley so erfolgreich sind. Als ein Schlüsselelement eines erfolgreichen Ökosystems benennen sie „Vertrauen“. In einem Ökosystem, in dem Vertrauen hoch ist, sind die Transaktionskosten niedrig, was bedeutet, dass Menschen problemlos neue Beziehungen eingehen können. Doch wie entsteht dieses Vertrauen? Hier kann nach Hwang und Horowitt eine starke normative Kultur mit Sanktionen für Abweicher eine entscheidende Rolle spielen. Diese Sanktionen sorgen dafür, dass diejenigen, die versuchen, sich unrechtmäßige Vorteile zu verschaffen, auf lange Sicht Verluste erleiden. Ein anderer Weg wäre ein deutliches Bekenntnis zu gemeinsam festgelegten Werten zu fördern. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und der Austausch von Ideen ohne Angst vor Diebstahl sind ein wesentlicher Bestandteil eines vertrauensbasierten Ökosystems. Heute würden wir sagen: aus diesem Grund ist das Orchestrieren eines Ökosystems eine zentrale Aufgabe.

Ein weiterer Schlüsselaspekt ist eine Kultur der Gegenseitigkeit oder Reziprozität. Die Geschichte zeigt, dass Kooperation und Zusammenarbeit in der Entwicklung der Menschheit immer von entscheidender Bedeutung waren. In innovativen Wirtschaftsökosystemen gilt das umsomehr: Um erfolgreich zu sein, muss eine Person oder ein Unternehmen mit einer Vielzahl von Menschen (und Akteuren) verbunden sein. Diese Verbindungen und Interaktionen (Anzahl und Qualität) sind ein Indikator für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit eines Ökosystems.

Ein weiterer interessanter Faktor beim Aufbau von Vertrauen und Reziprozität sind für Hwang und Horowitt so genannte „irrationale Motivationen“. Damit meinen sie, dass Menschen nicht nur finanziell motiviert sind, sondern sie suchen auch nach Abenteuern, sie folgen ihren Interessen oder wünschen sich Zugehörigkeit zu Gruppen. Im Kontext eines Bildungs-Ökosystems ist dieser Aspekt umso wichtiger, da die Initiative neue Bildungsziele anzugehen, nicht nur finanziell motiviert ist, sondern oft gerade wegen der nicht-monetären Vorteile.

Mit dem etwas spröden Begriff „Selbstselektion“ bezeichnen die Autoren einen weiteren Aspekt. Orte wie das Silicon Valley, das für seine Vielfalt bekannt ist, zieht bestimmte Menschen an. In einer Gemeinschaft, in der die meisten Menschen vertrauensvoll und vertrauenswürdig agieren, blüht die Zusammenarbeit auf. Die Menschen, die in solchen Umgebungen ankommen, sind oft unternehmerisch motiviert mit einem hohen Maß an Intelligenz und einer Bereitschaft, sich auf innovative Ideen einzulassen. Das schafft eine andere Verbindung unter den Menschen, ist aber auch in ständiger Veränderung.

Insgesamt bietet das Buch von Hwang und Horowit viele faszinierende Ansätze für die Gestaltung eines erfolgreichen Bildungsökosystems. Obwohl die Gestaltung und Steuerung solcher Ökosysteme eine Herausforderung darstellt, ist es ermutigend zu sehen, dass Konzepte wie Vertrauen, Zusammenarbeit, Gegenseitigkeit und Altruismus in der Praxis eine Wirksamkeit entfalten können, um z.B. eine produktive Lerngemeinschaft zu schaffen. Es bleibt spannend zu sehen, wie diese Erkenntnisse in zukünftigen Bildungsinitiativen (oder Weiterbildungsverbünden) eingesetzt werden können, um eine nachhaltige und dynamische Lernumgebung für alle zu schaffen. Und deutlich wird auch: ein solches System ist schwer von außen zu gestalten, geschweige denn top down. Die Akteure sind unmittelbar aufgefordert selbst von Beginn an mitzugestalten und durch ihr Handeln die Voraussetzungen für ein gelingendes Ökosystem zu schaffen.

Was meint ihr zu diesen Aspekten?

Peter Grünheid